So gar nicht Holland!

Ich glaube, es liegt an Amsterdam, dass ich da immer nur dann hinkomme, wenn ich arbeiten muss! Das letzte Mal war vor 3 Jahren als Anna und ich drei Tage vor Weihnachten im Auftrage der Deutschen Bahn unterwegs waren. Werde nie vergessen, wie kalt und nass A’dam sein kann, vor allem wenn man nur noch 20 Gulden hat! :-)
Auch diesmal gabs also wieder Anlass, den Weg nach A’dam anzutreten. Diesmal heißt es Promotion! Mal sehen, wie es wird…

Freitag steht im Zeichen von ATV, sprich freier Tag. Ich kann also in Ruhe ausschlafen, bevor es gegen halb zwölf Richtung A’dam geht. Dort angekommen, besorge ich mir natürlich als erstes eine Karte, um den Überblick zu bekommen. Ich stelle zu meiner Überraschung fest, dass mein Youthhostel mitten im Rotlichtviertel liegt. Ach du scheiße… Hatten Anna und ich doch vor drei Jahren alles daran gesetzt, diesen Teil von A’dam zu umgehen (übrigens erfolgreich), so muss ich dieses Mal also mitten rein. Nun gut, wir lassen uns überraschen.

Als erstes fällt mir aber dieser Schriftzug auf einem Hotel auf: Jesus loves you! Fast im gleichen Moment wird mir ein T-Shirt mit dem Aufdruck: I love Amsterdam angeboten. Logische Konsequenz: Amsterdam muss Jesus lieben. Ob das aber stimmt, kann ich mir bei der Größe und der Anzahl der Damen im Rotlichtviertel ja nun so gar nicht vorstellen.

Ab geht’s also zum Hotel. Ich wohne im Bulldog, eines der bekanntestes Hostals in A’dam. Zusammen mit 6 anderen Mädels werde ich mir also mein Zimmer teilen. Allerdings kann ich noch nicht einchecken, so mache ich mich direkt auf den Weg: sprich Karte, Anschriften meiner Hotels, die ich abklappern muss, und meine Flyer. Eigentlich ist A’dam nicht so groß, ist man aber den ganzen Tag nur in der Innenstadt unterwegs, dann legt man doch beachtliche Strecken zurück. Immerhin schaffe ich so 17 meiner 30 Hotels, die ich abklappern soll.

Es dämmert schon als ich das Hostal erreiche. Ich verabrede mich per Telefon mit Jochem (einer der beiden Jungs vom letzten Wochenende). Jochem arbeitet in Schipol, kommt meinetwegen aber noch mal nach A’dam. Zusammen gehen wir was essen (wir haben doch tatsächlich über eine Stunde auf unser Essen gewartet), bevor Jochem mir noch andere Gegenden von A’dam zeigt. Auf einmal bekomm ich ein ganz anderes Bild dieser Stadt: sie besteht eben nicht nur aus Drogen, Prostituierten und dem Rotlichtviertel. Der Abend endet mit einem Drink in einer typischen holländischen Kneipe.

Auf meinem Nachhauseweg (der eigentlich nur zwei Strassen entfernt sein sollte), verlaufe ich mich doch glatt im Rotlichtviertel. Also komme ich so, mehr oder weniger unabsichtlich, durch die ganzen kleinen Sträßchen mit den legendären Fenstern: wenn mal eine Box leer ist, kann man wohl davon ausgehen, dass Madame gerade beschäftigt ist. Das ganze ist der Wahnsinn! Man sieht alle möglichen verschiedenen Frauen: dicke, dünne, weiße, schwarze, blonde, braune oder schwarzhaarige, dicke, kleine und künstliche Titten, Russinnen, Europäerinnen, Afrikanerinnen… es ist für jeden was dabei. Insgesamt sollen wohl ca. 1.500 Prostituierte in der Stadt arbeiten.

Manche sind allerdings schon so alt, dass man denken könnte, dass die Pensionierung sicher schon einige Jahre zurückliegen müsste (würden sie normal arbeiten). Ich bin schon fast zu Hause, als ich am Moulin Rouge vorbeikomme: da spricht mich doch glatt der Türsteher an und meint Hey, how are you? Scheisse, denke ich, grüße freundlich und sehe zu, dass ich weiterkomme. Anheuern wollte ich nun wirklich nicht.

Am meisten haben mich aber die beiden Mädels am Schluss geschockt: beide sind superdünn, haben einen ziemlich kleinen Busen und tragen auch mehr so Mädchenunterwäsche. Ich schaue in ihre Gesichter und denke nur: Welches Arsch zwingt euch hier zu stehen. Ihr könnt unmöglich älter als 16 sein! Einfach nur der pure Wahnsinn!

Ich bin geschockt von diesen Eindrücken, muss zugestehen, dass ich in meinem ganzen Leben so was noch nie gesehen habe. Das ganze Viertel ist voll, es wimmelt von Menschen, es riecht nach Marihuana, es liegt einfach nur Sex in der Luft. Aber alles ist ruhig, jeder geht seines Weges, ab und an wird man angesprochen, ob man nicht eine Show besuchen möchte. In diesem Viertel kriegt man wirklich alles, was man will: Sex, weiche und harte Drogen, Alkohol und viel Spaß!

Am nächsten Morgen geht’s nach einem kurzen Frühstück zum Rent-a-bike-Shop um die Ecke. Ich miete ein Fahrrad und mache mich auf, meine restlichen Hotels abzuarbeiten. So komme ich auch in andere Stadtteile, die sich aber irgendwie doch alle ähneln. Grachten wo man hinschaut, hohe wunderschöne alte Häuser (A’dam ist im Gegensatz zu Rotterdam während des Krieges so gut wie gar nicht zerbombt worden), einfach ein supergemütliches Flair. Ich habe zudem das Glück, dass es nach etwas Nieselregen am Morgen sich nun ein wunderschöner Tag entwickelt: Sonnenschein pur, auch wenn es etwas kalt ist.

In De Pijp, in der Nähe des Sarphatiparks findet jeden Tag ein Markt statt. Jochem hatte mir tags zuvor diesen Tipp gegeben. Hier kann man alles kaufen: von Fisch über Käse, bis hin zu Klamotten und Haushaltsartikeln, ja sogar Kinderbuggys kann man kaufen. Unglaublich! In der Albert Cuypstraat (da wo auch der Markt stattfindet) kehre ich schließlich ins „Bazar“ ein: eine ehemalige Kirche, welche in ein Cafe umgebaut worden ist. Es ist leicht orientalisch angehaucht und proppenvoll, aber einfach nur schön! Was Kirchen angeht, sind die Holländer ja ein cleveres Völkchen: die Holländer sind ja nicht wirklich religiös. 40 Prozent fühlen sich keiner Religion zugehörig, demnach gibt’s wohl auch diesen Überhang an ungenutzten Kirchen. In Dordrecht zum Beispiel ist eine der größten Kirchen in einer Diskothek umgebaut worden, in A’dam wie bereits gesagt in ein Cafe.

Nach einem Glächen Appelsaap geht’s dann weiter. Insgesamt umrunde ich den Stadtkern der Stadt schließlich komplett mit meinem Fahrrad, brauche dafür aber nur ca. eine gute Stunde. Von der Heineken-Brauerei geht’s am Rijks-Muesum vorbei, schließlich überquere ich die Amstel und radel auch über wohl die bekannteste Amsterdamer Brücke. Eigentlich wollte ich auch noch das Anne Frank-Muesum besuche, aber die Schlange ist zu lang. Das muss also bis zum nächsten Besuch warten! Gegen 17h gebe ich mein Fahrrad ab, besuche noch kurz die Shoppingstraße (allerdings ohne was zu kaufen), bevor ich wieder ins Hostal zurückkehre.

Auf meinem Zimmer lerne ich schließlich Dana, 21 (Australierin) und Vivien, 26 (eigentlich aus Hongkong, arbeitet aber momentan in Manchester) kennen. Vivien ist nur für das Wochenende hier, Dana auf Europareise. Zusammen gehts in den Aufenthaltsraum, dort lerne ich schließlich noch Michael, 29 (auch Australier, arbeitet aber in Heidelberg) und Alex, 21 (geboren in Moldawien, studiert in L.A. und ist grad als Austauschstudent in London am studieren) kennen. Wahnsinne Kombi, aber super interessant.

Der Abend wird gemeinsam verbracht. Erst zusammen essen, quatschen, rauchen, trinken und über Gott und die Welt labern. Ich komme mir schon nach kurzer Zeit ziemlich doof vor: alle von den vieren sind in der ganzen Welt herumgekommen, kennen Australien, Amerika, Thailand, Mexiko und weiß der Kuckuck noch alles. So reißen unsere Gesprächsthemen nie ab. Gegen 23h verlässt Dana uns, sie muss am nächsten tag früh aufstehen und will nach Paris weiterreisen. Wir anderen suchen uns eine Kneipe und lassen den Abend noch bei ein paar Bier ausklingen. Gegen 3h komme ich ins Bett.

Am nächsten Morgen frühstücken Vivien und ich zusammen, und machen noch einen kleinen Spaziergang durch das Rotlichtviertel, welches gegen 10 Uhr morgens noch ziemlich leer ist. Wir treffen die Jungs gegen halb zwölf wieder und kehren erst mal in einen Coffieshop ein. So, nun habe ich das ganze auch mal von innen gesehen, bin ja froh, dass ich da nicht alleine rein muss, alleine hätte ich mich das nämlich nicht getraut.

Ich breche gegen 14h auf und bin gegen 16 Uhr wieder in Dordrecht. Schon als ich durch Leiden komme, fällt mir auf, dass ich wieder in der Realität bin. Ich habe wirklich das Gefühl, dass A’dam alles ist, aber sicher nicht ein Teil der Niederlande. Diese Stadt ist so unwirklich, so anders, so einmalig, dass man das Gefühl nicht los wird, dass man ein anderes Land besucht hat. Der Eindruck wird natürlich insbesondere durch das Rotlichtviertel geprägt, aber auch der andere Teil von A’dam scheint einfach nur irreal.

Die Stadt ist aber mit Abstand das schönste, tollste und aufregendste, was ich bisher in Holland gesehen habe. Ich weiß nicht, ob ich dort leben könnte, alleine die Tatsache, dass in der letzten Woche in Amsterdam zwei Menschen erschossen worden sind, lässt einen doch aufhorchen. Seit Theo van Goghs Tod ist Amsterdam nicht mehr die ruhige, friedliche Stadt, die sie einmal war, aber sicher sagen, ob sie sich zum Leben eignet, kann man sicher nur dann entscheiden, wenn man dort einige Zeit verbracht hat.
Nichtsdestotrotz ist Amsterdam ein Traum, eine aufregende, fantastische Stadt voller Widersprüche, die auf der anderen Seite aber so einheitlich wirkt! Einfach nur toll!!!!!

In Bettis Hollandführer, der mich natürlich auch nach A’dam begleitet hat, findet sich am Ende des Amsterdam-Artikels folgender Abschnitt:

„Irgendwann traf ich Gary, einen schwarzen Musiker aus den Staaten, zwei Jahrzehnte lebt er nun hier. Seit seiner Ankunft, erzählte er, trage er eine Magic Moments Box mit sich herum. In dieser (virtuellen) Schachtel bewahrt er alle die Augenblicke auf, die er hier erlebt hat und nie wieder vergessen will. Viele Augenblicke. Wer ohne eine solche Box Amsterdam verlasse, meinte er barsch, dem sei nicht zu helfen.“

Wie Recht er doch hat!!!!

hartelijk welkom in dordrecht

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Zuletzt aktualisiert: 25. Feb, 09:23

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